Architekturmanagement in der Digitaliserung
Was ist zu beobachten?
Ich mache immer wieder die Erfahrung, dass die Arbeit der Enterprise-Architekten (EA) in Unterneh-men nicht von allen Betroffenen als wertschöpfend und notwendig angesehen wird. Projekte werfen der EA-Truppe vor, nicht schnell genug zu sein, die Fachseite behauptet, EA verhindern Innovationen und der CIO kann keinen messbaren Erfolg feststellen. Also frei nach dem §6 des „kölschen Grundge-setzes“ „Kenne mer nit, bruch mer nit, fott domet?“ Im Gegenteil - sage ich. Gerade in Zeiten der Digi-talisierung brauchen Unternehmen Architekturfähigkeiten, die helfen mit der VUCA-Welt umzugehen.
Digitalisierungszeiten sind VUCA-Zeiten
Wir leben in VUCA-Zeiten! Diese Aussage ist nicht neu - schon 2014 war im Business Harvard Review es so zu lesen. Mit dem Akronym VUCA wird ausgedrückt, dass viele Herausforderungen für Entscheider durch diese vier Buchstaben VUCA umschrieben werden können.
V=Volatility (Unbeständigkeit): Die Herausforderungen sind unerwartet, haben eine unbekannte Dau-er
U=Uncertainty (Unsicherheit): Es liegen nicht alle Informationen vor, um zu einer sicheren Entschei-dung zu kommen. Veränderungen können eintreten, müssen aber nicht.
C=Complexity (Komplexität): Die Situation ist geprägt durch eine Reihe von Einflussfaktoren, die alle miteinander zu tun haben, es aber nicht bekannt ist, wie dieser Zusammenhang funktioniert.
A=Ambiguity (Vieldeutigkeit): Zusammenhänge sind vollständig unklar. Es gibt keine Erfahrungen über die Situation.
Der Digitalisierungstrend in der Gesellschaft mit den einhergehenden Veränderungen durch Digitalisie-rungstechnologie trägt viel VUCA in sich. Für viele Marktteilnehmer auf der Seite der Produkt- und Dienstleistungsanbieter gelten Rahmenbedingungen, auf die VUCA-Eigenschaften zutreffen.
Das Schlagwort „Digitalisierung“ wird nicht nur für Unternehmen, sondern auch für Privathaushalte immer bedeutsamer. So zeigte z.B. die Corona-Krise beim sog. Home-Schooling („Schule zu Hause“), was alles nicht möglich ist, wenn die Digitalisierung nicht beherrscht wird.
Für mich bedeutet Digitalisierung in erster Linie durchgängige Vernetzung von „Dingen“, die früher einmal nicht vernetzt waren. D.h. „Dinge“ werden interpretierbar in Beziehung gebracht.
Durch Digitalisierung ergeben sich nun neue Geschäftsfelder, die es vorher nicht gab – alles passiert in enormer Geschwindigkeit, so dass langfristige Planungen, die Enterprise Architekten so mögen (Stich-wort 5 Jahres Plan), nicht mehr möglich sind.
Passt Enterprise-Architektur in die VUCA-Zeiten?
Oft steht die Enterprise-Architektur, d.h. der Bereich in einem Unternehmen, der sich um die Errei-chung der Unternehmensziele durch einen ganzheitlichen, systematischen Ansatz kümmert, in der Kritik. Enterprise Architekten neigen dazu, den Anforderungen der Zeit mit einem zentralen Gover-nance Ansatz zu begegnen. „Wir müssen nur alles genau planen – dann wir das mit der Innovation schon funktionieren.“ Das ist der Geist, der durch die Flure weht. Kritiker sehen in der Forderung nach Planung genau die Ursache für das Scheitern des ganzheitlichen Ansatzes. Es heißt: Wir haben keine Zeit, um alles genau zu planen. Wir müssen schnell sein. Technische Innovationen der Digitalisierung müssen zügig Einzug halten.
Haben die Kritiker recht? Der ganzheitliche Ansatz, der streng einer Architecture Development Metho-de, z.B. nach TOGAF, folgt, schafft es nicht, die Forderungen nach mehr „Geschwindigkeit“ zu erfüllen. Spätestens wenn die Prozesse und Systeme nicht mehr zueinander passen, die Datenqualität im Un-ternehmen schlecht ist, regulatorischen Anforderungen nicht mehr entsprochen werden kann, werden die Stimmen wieder lauter, die mehr Governance fordern. Unternehmensarchitektur wird auch in VUCA-Zeiten benötigt.
Enterprise-Architecture in VUCA Zeiten
Eine an VUCA-Rahmenbedingungen angepasste Enterprise-Architektur-Funktion zeichnet sich u.a. durch ein geändertes Kollaborationsmodell, durch aktives Management technischer Schulden, durch Vorgabe passender Rahmenbedingungen sowie durch Lösungsorientierung aus.
Enterprise-Architekten dürfen nicht in dem sprichwörtlichen Elfenbeinturm sitzen, sondern müssen Vorhaben aktiv unterstützen. Insbesondere in frühen Phasen sind Expertise und der Blick für das große Ganze erforderlich. Die Zusammenarbeit mit den jeweiligen Domänen- und Lösungsarchitekten ist im Umsetzungsverlauf auf Unterstützung und Austausch ausgelegt. Enterprise Architekten arbeiten mit. Gerade in agilen Umgebungen wie SAFe ist die Zusammenarbeit notwendig.
In Digitalisierungsvorhaben wird vor dem Hintergrund einer notwendigen Umsetzungsgeschwindigkeit manchmal ein Lösungsweg gesucht, der zwar kurzfristig das jeweilige Vorhaben beschleunigt, langfristig aber gegen die Nachhaltigkeit von Unternehmensarchitektur verstößt. Die Kosten der Behebung sind in diesem Bild als Zinsen anzusehen. Die Unternehmensarchitektur muss einen Weg finden, um mit den technischen Schulden umzugehen. So können z.B. im Zusammenspiel mit dem Product Owner technische Schulden in Backlogs aufgeführt werden, um sie in nachfolgenden Sprints bzw. Releasetrains zu tilgen.
Vorgaben nur auf Makroebene / Anpassungen im Governance-Modell
Leitlinien und Prinzipien in Bezug auf Architektur sind ein wichtiges Instrument, um Vorhaben die Möglichkeit der EA-konformen Gestaltung zu geben, ohne die Lösungsfindung zu stark einzugrenzen. Wenn Leitlinien aus Geschäftszielen- und Strategie abgeleitet sind, sind sie besonders wirksam. In der Anwendung dieser Vorgaben sollten Ausnahmen möglich sein, aus denen sich technische Schulden ergeben. Weitere Vorgaben, die auf Makroebene wirken sind z.B. ein auf oberster Ebene festgelegtes Domänenmodell als Zielbild. Das Domänenmodell legt den Rahmen fest, in dem sich die Domänen entwickeln können. Die „Freiheitgrade“, in denen sich Domänen sich bewegen dürfen, sind sorgsam abzuwägen zwischen den Polen der „vollständigen Autarkie“ und „vollständiger Kontrolle“.
Enterprise-Architekten müssen in VUCA-Zeiten Vorhaben ermöglichen und lösungsorientiert unterstützen. Die Zielsetzung ist nicht, Innovation zu verhindern, sondern, wo möglich, in die Grundkonstruktion des Unternehmens zu integrieren. Dazu sind Lösungsmuster („Pattern“) ein Hilfsmittel: Ein Katalog gängiger Lösungsmuster kann ein Beschleuniger sein, der Projektteams hilft, schnell eine valide Lösung zu finden. Lösungsmuster basieren auf bewährten Erfahrungswerten und anwendungsfallbezogene Architekturstrukturen. Von den Enterprise-Architekten wird erwartet, dass sie sich dem Ziel, eine Lösung zu finden, partnerschaftlich unterordnen und weniger die Einhaltung übergeordneter Werte in den Fokus stellen.Neuer Text
Fazit
Das Spannungsfeld von Freiheit und Ordnung ist die Spielwiese eines modernen und an die VUCA-Anforderungen angepassten Enterprise-Architecture-Managements.